Zwangsstörungen bwältigen
Zwänge - Mittel zur Angstbewältigung und Schuldvermeidung
„Ich muss immer wieder meine Hände waschen und die elektrischen Geräte kontrollieren, obwohl ich weiß, dass ich alles viel gründlicher mache als andere Leute.“
Frau Pfeiffer, 26 Jahre, verheiratet, Mutter eines einjährigen Kindes, leidet seit ihrer Schwangerschaft an einer sogenannten Bakteriophobie, die zu einem extremen Händewaschzwang geführt hat.
Sie hat ständig Angst, dass jemand beim Händeschütteln Krankheitskeime oder andere gefährliche Stoffe auf sie übertragen könnte, wodurch sie dann selbst andere Menschen, vor allem ihre kleine Tochter, anstecken könnte.
Mit unsauberen Händen Nahrungsmittel zu berühren, könnte dazu führen, dass sie über die Nahrungskette ihr Kind gefährdet.
Sie vermeidet es möglichst, anderen Menschen die Hand zu geben, um nicht schuldig zu werden am Unglück anderer, obwohl sie weiß, dass sich ihr Mann nicht an ihre Spielregeln hält und dadurch jene Menschen anstecken könnte, die sie vor Unglück bewahren will.
Sie kann bestimmte Gegenstände (Türklinken, Mistkübel, gebrauchte Damenbinden, Pampers u.a.) nur mit großer Überwindung berühren und muss in ihrem Haus unbedingt eine zweite Toilette aufsuchen, die ihr Mann eigens für sie allein gebaut hat.
Unterwegs kann sie wegen ihrer Angst vor AIDS und verschiedenen Krankheitskeimen überhaupt nicht auf die Toilette gehen, weshalb weite Reisen unmöglich sind.
Wenn sie den gefürchteten unsichtbaren Keimen nicht vollständig ausweichen kann, flüchtet sie sich in die oft stundenlange Prozedur des Händewaschens, in ein Ritual, um den früheren sauberen Zustand wiederherzustellen.
Sie benötigt dazu mindestens zwei Stunden und eine ganze Seife pro Tag. Sie putzt alles, was sie vorher mit ihren vermeintlich verseuchten Händen berührt hat, sodass sie abends völlig erschöpft ins Bett fällt, ohne ihre Wasch- und Reinigungszwänge perfekt erledigt zu haben.
Ihr Mann muss sich zunehmend um ihr geliebtes Kind kümmern, weil sie Angst hat, es anzustecken und lebensgefährlich zu bedrohen.
Während eines einwöchigen beruflich bedingten Auslandsaufenthaltes ihres Mannes entwickelt sie auch einen starken Kontrollzwang.
Er bezieht sich in der Wohnung auf alles, das gefährlich für sie und ihr Kind werden könnte.
Bestimmte Gegenstände (Ofen, Kaffeemaschine, Fernsehapparat, Föhn, Lichter u.a.) könnten nicht abgeschaltet sein, sich übermäßig erhitzen und dann einen Brand auslösen.
Wenn sie mit ihrem Kind einkaufen geht, muss sie mehrfach kontrollieren, ob Fenster und Türen verschlossen sind, damit ja kein Einbrecher in ihr Haus eindringen kann.
Ihr Mann, der anfangs sehr viel Verständnis gezeigt und ihre zwanghaften Fragen nach Bestätigung („Bin ich jetzt wirklich sauber?“; „Ist wirklich alles abgedreht?“) geduldig beantwortet hat, ärgert sich wird im Laufe der Zeit immer mehr über seine Gattin, sodass es öfter zu Streit kommt.
Erst als Frau Pfeiffer eine Erschöpfungsdepression entwickelt und ihre Hausarbeit kaum mehr verrichten kann, geht sie auf Druck ihres Mannes zu einem Psychiater, der auch den Hintergrund der Zwangsstörung erkennt.
Müssen Sie viel öfter Ihre Hände waschen, Ihre Wohnung reinigen oder Ihre Arbeiten kontrollieren als andere Menschen und sind Sie dennoch unzufrieden damit?
1. Haben Sie Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen (oder beides) an den meisten Tagen über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen?
2. Treffen auf Ihre Zwangsgedanken und Zwangshandlungen folgende Merkmale zu:
a. Erleben Sie diese als Ihre eigenen Gedanken und Handlungen und nicht von anderen Personen oder Einflüssen eingegeben?
b. Müssen Sie diese ständig wiederholen, erleben Sie diese dauernd, erleben Sie diese als unangenehm und erkennen Sie mindestens einen Zwangsgedanken oder eine Zwangshandlung als übertrieben und unsinnig? |
c. Versuchen Sie Widerstand zu leisten und leisten Sie mindestens gegen einen Zwangsgedanken oder eine Zwangshandlung erfolglos Widerstand?
d. Erleben Sie die Ausführung eines Zwangsgedankens oder einer Zwangshandlung für sich genommen nicht als angenehm?
3. Leiden Sie unter den Zwangsgedanken und Zwangshandlungen oder werden Sie meist durch den besonderen Zeitaufwand in Ihrer sozialen oder individuellen Leistungsfähigkeit behindert?
4. Haben Sie folgende Zwangshandlungen:
a. Waschzwänge
b. Reinigungszwänge (Putzzwänge)
c. Kontrollzwänge
d. Ordnungszwänge
e. Wiederholungszwänge (inklusive Zählzwänge)
f. Sammeln, Stapeln oder Horten
5. Haben Sie Zwangsgedanken mit folgenden Inhalten:
a. Aggressive Themen
b. Sexuelle Themen
c. Religiöse Themen
d. Verschmutzung
e. Sonstige: _______________________________________
Wenn Sie die Fragen 1 und 3, die Punkte a-d von Frage 2 sowie mindestens einen Zwang von Frage 4 oder 5 bejahen, haben Sie wahrscheinlich eine Zwangsstörung.
Das Wesen einer Zwangsstörung
Die zentralen Merkmale kurzgefasst:
A. Es bestehen entweder Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen (oder beides) täglich oder fast täglich über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen.
B. Die Zwangsgedanken (Ideen oder Vorstellungen) und Zwangshandlungen zeigen sämtliche folgenden Merkmale:
a. Sie werden als eigene Gedanken/Handlungen von den Betroffenen angesehen und nicht als von anderen Personen oder Einflüssen eingegeben.
b. Sie wiederholen sich dauernd und werden als unangenehm empfunden, und mindestens ein Zwangsgedanke oder eine Zwangshandlung wird als übertrieben und unsinnig anerkannt.
c. Die Betroffenen versuchen, Widerstand zu leisten (bei lange bestehenden Zwangsgedanken und Zwangshandlungen kann der Widerstand allerdings sehr gering sein). Gegen mindestens einen Zwangsgedanken oder eine Zwangshandlung wird gegenwärtig erfolglos Widerstand geleistet.
d. Die Ausführung eines Zwangsgedankens oder einer Zwangshandlung ist für sich genommen nicht angenehm, sondern dient nur der Reduktion von Anspannung, Unlust oder Angst (dies sollte von einer vorübergehenden Erleichterung von Spannung und Angst unterschieden werden).
C. Die Betroffenen leiden unter den Zwangsgedanken und Zwangshandlungen oder werden in ihrer sozialen oder individuellen Leistungsfähigkeit erheblich behindert, meist durch den besonderen Zeitaufwand.
D. Die Zwangsstörung ist nicht bedingt durch eine andere psychische Störung.
Die wichtigsten Zwangsstörungen
Unter einem Zwang versteht man Gedanken, Vorstellungen, Impulse und Handlungen, die sich einem Menschen immer wieder stereotyp aufdrängen, obwohl er sich intensiv dagegen zu wehren versucht.
Im Laufe der Zeit kann jedoch der Widerstand nachlassen, was bei einer chronifizierten Zwangsstörung häufig vorkommt.
Zwänge werden von den Betroffenen als sinnlos, unangenehm, quälend und psychovegetativ belastend erlebt, sie werden als eigene Gedanken und Impulse erkannt, was große Schuldgefühle auslöst.
Zwangsrituale erscheinen als lästig, aber unvermeidlich und dienen nicht der Durchführung an sich nützlicher Tätigkeiten, sondern nur dazu, die Anspannung zu mindern und vermeintliche Gefahren abzuwehren.
Wenn die Zwänge nicht ausgeführt werden, kommt es zu großer Unruhe und Angst.
Zwänge sind letztlich erfolglose Versuche, Angstgefühle und andere unangenehme Gefühle zu reduzieren und das Gefühl der Sicherheit zu erhöhen.
Wegen des Abwehraspekts von Ängsten wird die Zwangsstörung zu den Angststörungen gezählt.
Menschen mit Zwangsstörungen versuchen die zwangsauslösenden Reize zu vermeiden.
Man unterscheidet zwischen „aktiver Vermeidung“ (dies ist die motorische Komponente mit Kontrollieren und Saubermachen, das heißt der Versuch, alles wiedergutzumachen und den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, wenn man vermeintlichen Gefahren nicht ausweichen konnte) und „passiver Vermeidung“ (Ausweichen vor allem, was zu aktivem Vermeidungsverhalten führen könnte).
Zwangsstörungen werden in zwei große Gruppen eingeteilt:
- Zwangsgedanken, -befürchtungen und -impulse,
- Zwangshandlungen.
Zwangshandlungen sind ständig wiederholte Stereotypien, die angesichts von objektiv ungefährlichen, subjektiv jedoch als sehr bedrohlich erlebten Ereignissen gesetzt werden, um Schaden für sich selbst oder andere Menschen zu vermeiden.
Oft wird die Gefahr als von der eigenen Person ausgehend erlebt, was mit allen Mitteln zu verhindern versucht wird.
Das Zwangsritual stellt einen letztlich wirkungslosen, symbolischen Versuch dar, eine vermeintliche Gefahr abzuwehren.
Die häufigsten Zwangshandlungen sind Kontrollzwänge (Kontrollieren von Ofen, Licht, Gas- und Wasserhahn, Fenster, Türen, Auto usw.), gefolgt von Waschzwängen (besonders Händewaschen), Reinigungszwängen und Ordnungszwängen.
Zwangshandlungen treten bei beiden Geschlechtern etwa gleich häufig auf.
Handwaschzwänge sind bei Frauen häufiger, Kontrollzwänge eher bei Männern.
Zwangsgedanken sind zwanghafte Ideen, bildhafte Vorstellungen oder Zwangsimpulse, die sich dem Betroffenen in quälender Weise aufdrängen. Sie beziehen sich oft auf aggressive, sexuelle, obszöne oder gotteslästerliche Themen, die von den Patienten als persönlichkeitsfremd und abstoßend erlebt werden (z.B. Zwangsimpulse einer Mutter, ihr geliebtes Kleinkind mit dem Messer zu töten; Zwangsimpuls, von einer Brücke oder einem hohen Gebäude zu springen, obwohl keine Selbstmordgedanken bestehen; Zwangsimpuls zu unkontrollierten verpönten sexuellen Handlungen).
Zwangskranke haben große Angst, dass sie ihre aggressiven oder autoaggressiven Impulse in die Tat umsetzen könnten.
Aber dies kommt praktisch nicht vor, weshalb ihre oft sehr umfangreichen Sicherungsstrategien (z.B. Wegsperren aller Messer), die ihr Selbstvertrauen noch weiter untergraben, unnötig sind.
Die Betroffenen werden höchstens verbal aggressiv gegenüber jenen, die ihr Zwangsverhalten mit Gewalt unterbrechen wollen.
Zur Diagnose einer Zwangsstörung müssen Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen wenigstens zwei Wochen lang täglich oder fast täglich vorhanden sein und zu einer massiven psychosozialen Beeinträchtigung führen, meist bedingt durch den besonderen Zeitaufwand.
80 Prozent der Zwangsstörungen können durch drei Fragen erkannt werden: „Müssen Sie Ihre Hände immer wieder waschen? Müssen Sie manche Dinge immer wieder kontrollieren? Haben Sie Gedanken, die Sie quälen und die Sie nicht loslassen?“
Zwangshandlungen
Zwangshandlungen werden gewöhnlich in folgende Typen unterschieden:
- Wasch- und Säuberungszwänge
- Kontrollzwänge
- Ordnungszwänge
- Wiederholungszwänge
Wasch- und Säuberungszwänge
Wasch- und Reinigungszwänge stehen gewöhnlich in Verbindung mit der Angst vor Ansteckung mit Krankheitskeimen, Verunreinigung mit menschlichen Ausscheidungen bzw. ekelerregenden Stoffen oder Verseuchung durch gefährliche Chemikalien.
Die Betroffenen fürchten bei Konfrontation mit diesen Stoffen krank zu werden bzw. zu sterben oder andere durch Übertragung der Keime zu infizieren und zu gefährden.
Wasch- und Putzzwänge haben eine starke Ähnlichkeit mit phobischem Vermeidungsverhalten.
Die Angst vor Verunreinigung durch verschiedene Substanzen und deren vermeintliche Folgen (Tod, Krankheit, Unglück) führt zu stundenlangen Wasch- und Reinigungsprozeduren.
Bevorzugt gewaschen werden Hände, Arme oder Kleidungsstücke. Überpenibel gereinigt werden meist die Schuhe oder bestimmte Einrichtungsgegenstände.
Besonders gefürchtet werden Körperausscheidungen (Schweiß, Urin, Kot, Sperma, Menstruationsblut, Vaginalsekret), Schmutz (Erde, Fußboden), Keime jeder Art (etwa bei Abfällen, öffentlichen Toiletten, Türgriffen), Bakterien und Viren, Krankheiten (etwa AIDS oder Krebs), bestimmte chemische Substanzen oder Tiere als Überträger gefährlicher Krankheitserreger (wie BSE).
Menschen mit einem Reinigungszwang haben oft große Angst, andere anzustecken, was voraussetzt, dass sie annehmen, sie könnten selbst bereits angesteckt sein, doch dies belastet sie gewöhnlich weniger als die Möglichkeit, andere anstecken zu können.
Wasch- und Putzzwänge sollen ein befürchtetes Unglück (Krankheit oder Tod) verhindern oder das Gefühl des Wohlbehagens wiederherstellen.
Reinigungszwänge ufern im Laufe der Zeit immer mehr aus, weil aufgrund möglicher Kontakte und Übertragungen immer mehr Lebensbereiche als verunreinigt angesehen werden.
Wollen Sie sich einmal in so einen armen Menschen hineinversetzen? Dann stellen Sie sich vor, Sie wischen mit einem frischen Lappen den Boden auf.
Doch dabei fällt Ihnen plötzlich ein, dass Sie nur den Schmutz von einer Stelle des Bodens auf eine andere übertragen.
Also sofort den Lappen auswaschen, doch wo, etwa im schmutzigen Wasser des Kübels? Nein, daher sofort neues Wasser herbeischaffen, doch was nützt dies, der Lappen wird bestimmt nicht ganz sauber.
Es bleibt also nichts anderes übrig, als den eben noch neuen Lappen in den Mülleimer zu werfen und sofort zu entsorgen, damit nichts anderes mit den Keimen vom Boden angesteckt wird.
Die Angehörigen müssen bald dieselben Rituale einhalten, um jede Verunreinigung zu vermeiden.
Eltern, Partner und Kinder fügen sich oft erstaunlich geduldig den Reinigungsvorschriften des Zwangskranken.
Manchmal wehren sie sich aber auch erbittert, sodass ständige Spannungen entstehen.
Menschen mit Waschzwängen haben einen hohen Verbrauch von Warmwasser, Seife und Handtüchern. Das Badezimmer wird oft stundenlang nicht verlassen.
Wasch- und Reinigungszwänge beziehen sich entsprechend der zugrundeliegenden Problematik oft nur auf bestimmte Bereiche (z.B. Hände, Toilette), während andere Bereiche sogar ausgesprochen schmutzig sein können.
Ein „Sauberkeitsfanatiker“ achtet dagegen in allen Bereichen auf Sauberkeit.
Kontrollzwänge
Die Angst vor einer Katastrophe („Durch mein Verhalten könnte jemand ein Unglück erleiden“; „Ich könnte für einen Fehler bestraft werden“) führt zu einer übermäßigen Kontrolle des Ofens, anderer Elektrogeräte (etwa Kaffeemaschine, Bügeleisen), der Gas- und Wasserhähne, der Türen und Fenster, bestimmter beruflicher oder privater Tätigkeiten (z.B. werden erledigte Arbeiten oder ausgefüllte Zahlscheine ständig überprüft).
Die Betroffenen haben ein übertriebenes Verantwortungsgefühl für eventuelle Fehler und Folgen für andere Menschen.
Sie achten durch ständige Kontrollen darauf, dass sie ihre Mitmenschen nicht durch ihre Unachtsamkeit gefährden oder möchten ihre Angehörigen vor Gefahren bewahren.
Zahlreiche Kontrollzwänge werden durch die Angst ausgelöst, dass man andere Menschen unabsichtlich verletzt haben könnte.
Kontrollzwänge führen im Berufsalltag notgedrungen zur verlangsamten Bewältigung der Aufgaben (etwa weil immer wieder alles nachgezählt werden muss), in der Schule (wenn ein Lernstoff oft wiederhol werden muss) und in der Freizeit (etwa weil ein Ort erst dann verlassen werden kann, wenn man alles genau und lange genug kontrolliert hat, obwohl man bereits etwas anderes tun sollte).
Zwangskranken fällt es sehr schwer, den Ort und den Gegenstand der Kontrolle zu verlassen, weil sie wissen, dass sie dann keinerlei Kontrollmöglichkeit mehr haben, z.B. können die Kontrollzwänge bezüglich der Elektrogeräte in der Küche ausufern, wenn man für drei Tage die Wohnung verlässt, während ein halbstündiger Einkauf im nächsten Geschäft keine derart großen Probleme bereitet.
Die Betroffenen kontrollieren ihre Arbeiten immer wieder, um Fehler und damit soziale Kritik oder gar befürchtete Ablehnung zu vermeiden.
Sie zweifeln ständig daran, dass sie alles korrekt überprüft haben, beginnen daher immer wieder aufs Neue mit dem Kontrollieren und überreden zudem auch oft nahestehende Menschen, doch bitte auch noch ein Auge darauf zu werfen.
Die ständigen Kontrollfragen („Habe ich alles richtig gemacht?“; „Kann wirklich nichts passieren?“) können Menschen in der Umgebung zur Verzweiflung bringen.
Angehörige versuchen in anfangs gut gemeinter Art und Weise zu beruhigen, verstärken damit jedoch ungewollt die Unsicherheit des Zwangskranken.
Zahlreiche Betroffene nehmen Zuflucht zu magischen Praktiken, um die langen Kontrollrituale abzukürzen.
Magische Rituale haben eine ökonomische Funktion, wenn es beispielsweise gelingt, 20 Kontrollen des Ofens vor dem Verlassen des Hauses auf zwei zu reduzieren.
Es handelt sich dabei um bestimmte Gesten oder Bewegungen, Sätze, Zahlen oder Gebete, die auf ganz spezielle Weise ausgeführt werden.
Häufig dienen bestimmte „gute“ Zahlen als Leitlinie (etwas dreimal machen müssen, etwas anderes sechsmal machen müssen usw.).
Viele Kontrollzwänge laufen auf geistiger Ebene ab und sind somit von anderen Menschen überhaupt nicht beobachtbar.
Es fällt oft gar nicht auf, wie sehr die Betroffenen mit ihren Ritualen beschäftigt sind, und es ist für andere auch kaum nachvollziehbar, warum sie in Gesprächen oft so abwesend wirken.
Ordnungszwänge
Hier wird die gesamte Umgebung, Lebenswelt nach einem bestimmten, individuellen und oft nicht näher begründbaren festen Ordnungssystem strukturiert. Bettzeug, Wäsche, Kleidung, Zahnbürsten, Schuhe, Wohnungsgegenstände, Schreibtisch-Utensilien, Arbeitsgeräte u.a. müssen nach einem ganz bestimmten Muster angeordnet sein.
Oft spielt die symmetrische oder millimetergenaue Ausrichtung eine große Rolle.
In ihrem Perfektionsdrang verbringen die Betroffenen oft Stunden, alles „richtig“ an seinen Platz zu stellen. Wenn die Ordnung oder Symmetrie nicht eingehalten wird, könnte ein Unglück passieren, was große innere Unruhe auslöst.
Ordnungsrituale können den Charakter einer magischen Schutzwirkung ausüben. Niemand darf daher das etablierte Ordnungssystem verändern.
Wiederholungszwänge
Wiederholungsrituale (Wiederholungen von Handlungen, Worten, Sätzen, Zahlen oder Gebeten) dienen der Abwehr oder Neutralisierung etwaiger Katastrophen, auch wenn keinerlei logische Beziehung besteht zwischen der Zwangsbefürchtung („Meine Mutter könnte bald sterben“; „Mein Gatte könnte fremdgehen“) und der Zwangshandlung.
Es handelt sich um Rituale wie etwa bestimmte stereotype Bewegungen, ständiges An- und Ausziehen, nach einem bestimmten Muster Zählen-Müssen, Handlungen unter dem Diktat einer bestimmten Zahl.
Zählzwänge können sich auf alles Mögliche beziehen. Die Betroffenen müssen vielleicht eine ganz bestimmte Stundenzahl arbeiten, Blätter in ganz bestimmter Weise beschreiben und Arbeitsschritte genau dreimal wiederholen, ansonsten muss die ganze Arbeit noch einmal gemacht werden, um ein Unglück zu verhindern oder das Gefühl der Unvollkommenheit zu beseitigen.
Wiederholungszwänge haben eher magischen als logischen Charakter, und es gibt oft keine äußeren Umstände als Auslöser.
Zwangsgedanken
Zwangsgedanken sind lästige und aufdringliche Gedanken, bildhafte Vorstellungen und dranghafte Impulse.
Der Begriff umfasst zwanghafte Gedanken, Ideen, Vorstellungen, Erinnerungen, Fragen, Befürchtungen und Grübeleien.
Die Betroffenen sind fast davon besessen, bestimmte Gedanken, Zahlen, Farben, Dinge, Anordnungen zu vermeiden, weil davon Unglück ausgehen könnte.
Zwangskranke erleben die jeweiligen Inhalte als abstoßend, unannehmbar, moralisch verwerflich und sinnlos, aber kaum ausschaltbar.
Sie fühlen sich geistig sehr beunruhigt, vegetativ stark erregt und angespannt.
Zwangsgedanken werden inhaltlich folgendermaßen differenziert:
- Zwangsgedanken bezüglich Aggressionen
- Zwangsgedanken bezüglich Sexualität
- Zwangsgedanken bezüglich Verschmutzung
- Zwangsgedanken bezüglich Sammeln und Aufbewahren von Gegenständen
- Zwangsgedanken bezüglich der Religion oder des Gewissens
- Zwangsgedanken bezüglich Symmetrie oder Genauigkeit
- Zwangsgedanken bezüglich des eigenen Körpers
- Zwangsgedanken anderer Art (wie Furcht, Dinge zu tun, zu sagen, zu verlieren)
Zwangsgedanken umfassen verschiedene Arten:
· Zwangsbefürchtungen und Zwangsimpulse
· Denkzwänge
· zwanghaftes Grübeln.
Zwangsbefürchtungen und Zwangsimpulse
Die Betroffenen fürchten ein bevorstehendes Unheil, das eher anderen, nahestehenden Personen droht als der eigenen Person.
Sie glauben aber, daran irgendwie schuld zu sein und fühlen sich für die Abwendung der Katastrophe verantwortlich.
Zwangsbefürchtungen und Zwangsimpulse werden durch ein kognitives oder verhaltensbezogenes Ritual neutralisiert.
Oft bestehen Zwangsgedanken mit aggressivem Inhalt gegen nahestehende Personen (etwa jemand zu verletzen). Zwangsvorstellungen führen zu Angst- und Unruhezuständen, die durch bestimmte Rituale nur kurzfristig erfolgreich reduziert werden können.
Man fürchtet, gegen soziale Tabus zu verstoßen, beispielsweise sich unabsichtlich aggressiv, sexuell unanständig, sozial auffällig oder religiös unangepasst zu verhalten.
Die Zwangsgedanken stehen im krassen Widerspruch zum Wertsystem der Betroffenen (dies macht ihr Wesen aus): gotteslästerliche Gedanken eines frommen Menschen, aggressive Impulse eines Pazifisten, Mordphantasien einer überbehütenden Mutter gegenüber ihrer geliebten kleinen Tochter, sexuelle Impulse eines sexuell Gehemmten.
Die Zwangsbefürchtungen („Ich könnte jemand umbringen“) lösen Ängste aus, die durch beruhigende (ebenfalls zwanghafte) Gegengedanken („Ich darf niemand umbringen“) zu bewältigen versucht werden.
Die kognitiven Rituale reduzieren kurzfristig Angst und Anspannung. Abergläubische Ängste rund um Todesängste zählen auch zu den Zwangsgedanken.
Denkzwänge
Gedanken- bzw. Denkzwänge sind Rituale, mit denen bestimmte Zwangsimpulse oder -vorstellungen („Wirf dich vor den Zug“; „Spring vom Balkon hinunter“; „Töte deinen Vater“ u.a.) neutralisiert werden sollen.
Es werden bestimmte kognitive Rituale eingesetzt wie z.B. ein bestimmter Zählzwang oder „positive“ Gedanken wie „Dein Vater ist gut“.
Zwanghaftes Grübeln
Zwanghaftes Grübeln besteht aus langen und unproduktiven zwanghaften Gedankenketten, die sich um bestimmte Themen drehen, die jedoch rasch wechseln können (wie etwa „Ich komme in die Hölle“; „Was habe ich Schlechtes gesagt oder getan?“).
Derartige Gedankenzwänge, hinter denen oft Ängste stehen, haben meistens einen Angst verstärkenden Effekt, weil sie durch keinen Gegengedanken wirksam neutralisiert werden können.
Erklärungsmodelle für Zwangsstörungen
Grundsätzlich besteht jeder Zwang aus zwei Komponenten:
1. Ein bestimmtes Verhalten, Denken oder Fühlen, das negativ bewertet wird (unangenehm, belastend, gefährlich usw.). Dies umfasst den Angstaspekt von Zwangsstörungen.
2. Ein verhaltensbezogenes oder kognitives Ritual, mit dem das negativ erlebte Verhalten, Denken oder Fühlen auf eine ganz bestimmte Art zu bewältigen bzw. zu neutralisieren versucht wird. Dies nennt man den Abwehraspekt von Zwangsstörungen.
Die Dynamik einer Zwangsstörung besteht darin, dass die aufdringlichen und Angst auslösenden Gedanken, Vorstellungen und Impulse durch willkürliche verhaltensbezogene und kognitive Zwangsrituale zu neutralisieren versucht werden.
Ziel ist es, Angst, Unruhe und mögliches Unglück zu vermindern bzw. zu verhindern. Die Betroffenen fühlen sich dafür mehr verantwortlich als andere Personen.
Zwänge bestehen aus einem vierstufigen Ablaufschema:
1. Belastender, aufdringlicher Gedanke/Reiz: „Ich könnte ein Kind verletzen“; „Das ist schmutzig“.
2. Bewertung: „Dies ist schlimm“; „Dies ist gefährlich“; „So darf man nicht denken“. Die Bewertung macht aus dem Gedanken oder Gefühl erst ein richtiges Problem.
3. Physiologische Erregung und Unbehagen: körperliche Unruhe, Erregung, Angstzustände, Kontrollverlustangst, Schuldgefühle usw.
4. Neutralisieren: Beseitigen der „gefährlichen“ Sachen, Abwehr des Gedankens durch ein Ritual (Zwangshandlung, kognitives Ritual).
Am Beginn eines Zwangs stehen aufdringliche Gedanken, die als gefährlich oder moralisch verwerflich bewertet werden.
Dies führt zu Erregung und Unruhe, die man durch verschiedene Formen der Entschärfung zu reduzieren versucht.
Wenn möglich, wird die zwangsauslösende Situation überhaupt gemieden.
Wenn dies unmöglich ist, erfolgt ein Ritual, um einen vermeintlichen Schaden zu verhindern bzw. um einen angeblich bereits eingetretenen Schaden wieder gutzumachen.
All das kann aber nie vollständig gelingen und so kommt es daher im Sinne einer Rückkopplung zu erneuter Erregung und Unruhe, zu einem erneuten Auftreten des auslösenden Gedankens, zu intensivierten kognitiven oder verhaltensbezogenen Ritualen.
Je stärker die Zwangsgedanken und Zwangsimpulse unterdrückt werden, desto stärker drängen sie sich auf.
Die Kraft bzw. Dynamik der Gedanken können auch davon Nicht-Betroffene in einem kleinen Experiment sofort nachvollziehen: versuchen Sie einmal, NICHT an einen rosaroten Elefanten zu denken ...
Menschen mit Zwangsstörungen haben vor der Ausführung der Zwangsrituale keine klar überprüfbaren Kriterien, anhand derer sie hinterher erkennen können, ob sie das entsprechende Verhalten (z.B. Händewaschen) ausreichend ausgeführt haben.
Es besteht nur ein nicht näher bestimmbares Gefühl, dass es jetzt passt oder nicht.
Die Betroffenen benötigen klare, von Gefühlen unabhängige Beurteilungsmaßstäbe, wenn sie von starken Emotionen und Unruhezuständen zu neuerlicher Kontrolle gedrängt werden.
Zwangsstörungen drehen sich meist um die Themen Verantwortung, Schuld, Zweifel und Unsicherheit, nicht akzeptierbare sexuelle Handlungen, abgelehnte aggressive Impulse, religiös motivierte Gewissensbisse, Befürchtung negativer Konsequenzen bzw. Katastrophen.
Zwangskranke fühlen sich angesichts der Unsicherheit des Lebens verantwortlich dafür, „dass nichts passiert und dass allen gut geht“.
Zwangskranke überschätzen im Vergleich zu Gesunden die Wahrscheinlichkeit von Gefahren und haben daher bei alltäglichen Verhaltensweisen ständig den Eindruck, ein Risiko einzugehen.
Sie überschätzen auch das Ausmaß ihrer persönlichen Verantwortlichkeit für eine befürchtete Katastrophe.
Zwänge stellen den Versuch dar, alles zu tun, um sich nicht schuldig oder depressiv fühlen zu müssen, weil man drohendes Unheil nicht abgewendet hat. Zwänge gelten als die „Krankheit des Zweifelns“.
Eine massive Unsicherheit, die sich trotz allen Bemühens nicht in ausreichende Sicherheit umwandeln lässt, bildet das Fundament einer Zwangsstörung, insbesondere in Bezug auf Garantien, die eine von der Umwelt oder vom Patienten ausgehende Bedrohung abwenden könnten.
Aus dieser Konfliktsituation resultieren Angst und Unruhe, was durch die Zwänge zu beseitigen versucht wird.
Die Funktionalität von Zwängen unterscheidet sich teilweise sehr stark von jener phobischen Meidungsverhaltens (Ausnahme: bestimmte Wasch- und Reinigungsrituale).
Zwangsstörungen stellen Bewältigungsversuche bei generalisierten vital-bedrohlichen Ängsten, Unsicherheiten und Defiziten dar.
Wasch- und Reinigungszwänge leichter und mittelstarker Ausprägung ähneln phobischem Vermeidungsverhalten wesentlich mehr als die anderen Zwangstypen.
Es bestehen phobieähnliche Erwartungsängste, wobei die Auslöser entweder vermieden oder durch Säuberung nachträglich beseitigt werden (Ungeschehen-Machen).
Der Sinn besteht in einer Reduktion der auslöserspezifischen Angst. Durch die Rituale besteht die Gewissheit, sich effektiv zu verhalten.
Ordnungs- und Kontrollzwänge dienen oft dazu (als Folge primärer und sekundärer sozialer Defizite) die Selbstunsicherheit und die Angst vor Ablehnung durch andere zu reduzieren.
Indem soziale Normen in den Bereichen Ordentlichkeit, Genauigkeit, Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit übererfüllt werden, sollen soziale Zustimmung und Belohnung sichergestellt, ja geradezu erzwungen werden.
Diese Strategie wird im Alltags- und Berufsleben häufig angewandt und als sogar teilweise wirksam erlebt.
Wenn allerdings die erhofften Reaktionen ausbleiben, können die Kontrollhandlungen dermaßen ausufern, dass ein Teufelskreis in Gang gesetzt wird: das erhöhte Zwangsverhalten führt zu verminderter sozialer Anerkennung und zunehmender Ablehnung, was wiederum ein noch intensiveres Zwangsverhalten bewirkt.
Bei Kontrollzwängen besteht aus Angst vor Fehlern und deren Folgen ein übertriebenes Verantwortungsgefühl.
Oft werden auch Verunsicherungen durch neue Lebenssituationen durch Kontrollzwänge zu bewältigen versucht. Auch hier verleihen die Zwänge eine scheinbare Sicherheit.
Ähnlich bei Ordnungs- und Kontrollzwängen: die nötigen Rituale geben zwar noch Hoffnung auf die eigene Verhaltenseffektivität, sicherheitshalber werden jedoch – sehr viel früher als bei den anderen Zwängen – magische Elemente (z.B. Zähl- und Wiederholungszwänge) eingebaut.
Dadurch verkürzen sich die Zwangshandlungen, weil die Sicherheit nicht mehr durch die eigenen Kontrollen, sondern durch die weniger aufwendigen magischen Rituale (z.B. bestimmte Sprüche oder Gesten) gewährleistet wird.
Säuberungs-, Ordnungs- und Kontrollzwänge haben oft die intrapsychische Funktion, von einer negativen Befindlichkeit bzw. von einer vorhandenen Depression im Sinne einer „Beschäftigungstherapie“ abzulenken.
Zähl-, Wiederholungs-, Berührungs- und Sprechzwänge sind oft auch die „Rettung“, um stärker generalisierte Katastrophenängste, in Bezug auf die eigene oder nahe Personen zu bewältigen.
Diese Zwänge charakterisiert ein ausgesprochen magisches Denken (z.B. „gute“ Zahlen wiederholen, bestimmte objektiv unnütze Bewegungen).
Die Betroffenen versuchen, durch bestimmte Rituale Unheil von sich oder anderen abzuwenden, obwohl ihnen vom Verstand her klar ist, dass die entsprechenden Vorstellungen und Handlungen unsinnig sind.
Sie können ihre Angst und Unsicherheit, dass ihnen oder anderen etwas zustoßen könnte, nicht durch eigene Überlegungen reduzieren, sondern nehmen Zuflucht zum Glauben an magische Kräfte.
Aus dem Alltagsleben gibt es dafür viele Beispiele (z.B. Geburtsdaten als Lottozahlen).
Neuere Erklärungsmodelle weisen auf die Bedeutung des Gedächtnisses bei der Entwicklung von Zwängen hin.
Bei Kontrollzwängen fehlt den Betroffenen die subjektive Gewissheit, dass sie ihre Handlung effizient ausgeführt haben, sodass sie ein Gefühl der „Unvollständigkeit“ entwickeln.
Sie sagen etwa: „Ich war irgendwie nicht ganz da, als ich den Ofen, den Wasserhahn, die Tür kontrolliert habe, sodass ich alles nochmals kontrollieren muss“ oder sie fragen sich oft: „Habe ich die Tür wirklich abgesperrt oder nur daran gedacht, dass ich es tun soll?“
Menschen mit Kontrollzwängen fällt es oft schwer, zwischen der Erinnerung an tatsächlich ausgeführte und nur vorgestellte Handlungen zu unterscheiden.
Eine neuerliche Kontrolle soll dann der unbefriedigend erlebten Erinnerung einen „persönlichen Stempel“ aufdrücken.
Erinnerungen an die Motorik, an taktile oder sensorische Aspekte werden zu wenig genutzt oder als zu wenig verlässlich empfunden (sie rütteln z.B. an den Fenstern, ob sie wirklich geschlossen sind).
Der Schlüssel: verschieben und vermindern Sie Ihre Zwangsrituale, um Angst, Unsicherheit und Restrisiko besser ertragen zu lernen!
Der Schlüssel zur eigenständigen Bewältigung von Zwangsstörungen besteht aus folgenden Punkten:
1. Konfrontation in der Vorstellung
Stellen Sie sich vor, wie Sie sich einer bisher gemiedenen Situation aussetzen (Schmutz, Unordnung usw.) und mit dieser viel lockerer und unkomplizierter umgehen können.
2. Konfrontation in der Realität
Konfrontieren Sie sich schrittweise oder gleich direkt ohne gestufte Vorgangsweise mit gefürchteten Situationen Ihrer Umwelt (z.B. Verunreinigung Ihres Körpers, Ihrer Kleidung, Ihrer Lieblingsgegenstände und Wohnungseinrichtung mit Blut oder Staub vom Boden).
3. Ritualverhinderung
Verzichten Sie auf die Ausführung von kognitiven oder verhaltensbezogenen Ritualen (Waschen, Reinigen, Kontrollieren, zwanghaftes Zählen usw.). Lernen Sie, alle auftretenden Gedanken, Gefühle und körperlichen Empfindungen besser als bisher auszuhalten und alles etwas lockerer anzugehen. Begrenzen Sie vor allem auch das Ausmaß Ihres Verantwortungsgefühls für ein mögliches Unglück, Sie tragen nicht für alles die Verantwortung! Schieben Sie nach und nach wenigstens die Durchführung der Rituale einige Zeit (vielleicht eine halbe Stunde) hinaus, um besser mit Angst und Unruhe umgehen zu lernen.
4. Änderung der Denkmuster
Bewerten Sie realistischer als bisher, wie gefährlich bestimmte Situationen und Objekte tatsächlich sind. Analysieren Sie Ihre perfektionistischen Bewältigungsversuche, die jedes Restrisiko ausschließen sollen. Alles unter Kontrolle haben wollen bedeutet, keine Angst haben zu müssen. Dies ist ein unrealistisches Ziel, vor allem bei schweren Zwängen – und überhaupt im Leben!
5. Effizientere Bewältigung von Gefühlen
Sie müssen lernen, mit Angstgefühlen und anderen unangenehmen Gefühle wie Wut oder gar Hass konstruktiver umzugehen als auf zwanghafte Weise.
6. Bessere Kommunikations- und Interaktionsmuster
Eine Stärkung der sozialen Kompetenz ist bei vielen Zwangskranken wichtig, damit sie ihre Sozialbeziehungen nicht mehr über den Weg der Zwänge gestalten, wo sich die anderen einfach in das Zwangssystem einzufügen haben.
Zwängen erfolgreich widerstehen
Konfrontation ohne Rituale – Vermeiden und Neutralisieren aufgeben
Leiden Sie unter Zwängen? Auch in diesem Fall führt fast kein Weg an einer Konfrontation mit jenen Reizen vorbei, die die Zwangshandlungen auslösen.
Ziel ist es, sich diesen stellen zu können, ohne dass Sie verhaltensbezogene oder kognitive Rituale zur Reduzierung Ihrer Angst und Unruhe einsetzen.
Sie müssen lernen, mit diesen Irritationen auf andere Weise umzugehen.
Eine Konfrontationstherapie bei Zwängen beruht auf zwei Strategien:
1. Konfrontation mit den zwangsauslösenden Reizen
Konfrontieren Sie sich gestuft oder massiert mit dem, was Sie fürchten (z.B. Verunreinigung Ihres Körpers, Ihrer Kleidung, Ihrer Lieblingsgegenstände und Wohnungseinrichtung mit Blut oder Staub vom Boden).
2. Unterlassung aller Rituale
Auch wenn es schwer fällt: verzichten Sie im nächsten Schritt auf die gewohnten und zwanghaft folgenden kognitiven oder verhaltensbezogenen Rituale (Waschen, Reinigen, Kontrollieren, zwanghaftes Zählen usw.). Lernen Sie, alle auftretenden Gedanken, Gefühle und körperlichen Empfindungen besser als bisher auszuhalten.
Die Konfrontationstherapie wird jedoch nur dann anhaltende Erfolge bringen, wenn Sie mit sich auch eine „kognitive Therapie“ durchführen, das heißt Ihre Denkmuster ändern.
Dabei werden Sie hauptsächlich lernen, sich nicht mehr ausschließlich für irgendein mögliches Unglück verantwortlich zu fühlen, beispielsweise: „Wenn ich die nächste Stunde nicht alle meine Schritte immer bis 7 mitzähle, dann hat mein Mann sicher einen Unfall“.
Zunächst aber sollten Sie sich mit den folgenden Tipps für eine gestufte Konfrontationstherapie auseinandersetzen.
Stärker sein als alle Zwänge
Analysieren Sie Ihre Zwänge auf der individuellen Ebene!
Erstellen Sie eine Liste Ihrer Zwänge und reihen Sie diese nach dem Ausmaß der Belastung.
Ergründen Sie, wodurch Ihre Zwangsrituale bedingt sind: Was möchten Sie verhindern? Was möchten Sie erreichen? Protokollieren Sie die Analysen Ihrer Zwänge sowie alle Übungen hinsichtlich Art, Zeitpunkt und Dauer.
Charakterisieren Sie Ihre Zwänge anhand einer Liste mit fünf Spalten:
- In der ersten Spalte beschreiben Sie die Art des Zwangs möglichst präzise.
- In der zweiten Spalte vermerken Sie Ihre Gedanken und Gefühle in Zusammenhang mit dem Zwang.
- In der dritten Spalte führen Sie an, welche Konsequenzen Sie im Falle der Nichtausführung der Zwangshandlungen fürchten.
- In der vierten Spalte beschreiben möglichst genau die Rituale, die Sie anwenden.
- In der fünften Spalte charakterisieren Sie jeden Zwang hinsichtlich des Ausmaßes von Angst, Unruhe oder Unbehagen durch einen Punktewert von 0-10 als subjektiven Belastungswert.
Analysieren Sie Ihre Zwänge auf der interaktionellen Ebene
Analysieren Sie nun, in welchem Beziehungskontext Ihre Zwänge stehen. Durch welche psychosozialen Faktoren werden Ihre Zwänge sofort stärker?
Was können Sie über den Weg der Zwänge von Ihrer sozialen Umwelt erreichen, was Ihnen sonst nicht so leicht gelingen würde (z.B. die Durchsetzung bestimmter Wünsche)?
Welche Sicherheit in Beziehungen gewinnen Sie durch die Ausführung von Kontroll- und Reinigungszwängen (z.B. Verhinderung befürchteter Kritik wegen fehlerhafter Arbeitsweise)?
Wie können Sie in Beziehungen mehr vertrauen lernen, ohne ständig Kontrolle ausüben zu müssen? Wie können Sie in Ihrer Familie Einfluss bekommen, ohne die anderen durch Wasch- und Reinigungszwänge zu dirigieren?
Prüfen Sie den Wahrscheinlichkeitsgrad der Gefahr
Jetzt betrachten Sie die Situation eher wie ein externer Beobachter: wie realistisch ist es wirklich, dass das Befürchtete eintritt?
Geben Sie dafür einen Wahrscheinlichkeitsgrad an, z. B. 1:100000, und erkennen Sie das wahre, ziemlich geringe Risiko. Gestehen Sie sich ein, dass Sie so wie die meisten Zwangskranken dieses kleine Restrisiko gerne überschätzen.
Der Gedanke an Gefahr bedeutet nicht, dass automatisch auch schon eine Gefahr gegeben ist.
Menschen mit Zwängen glauben oft, dass allein bereits der Gedanke an etwas Bestimmtes dessen Auftreten sehr wahrscheinlich macht (z.B. „Weil ich daran gedacht habe, meine Großmutter könnte heute sterben, wird dies auch der Fall sein, und ich bin dann schuld, wenn dies tatsächlich geschieht“).
Begrenzen Sie Ihr Verantwortungsgefühl
Lernen Sie sich vom Druck der Zwänge emotional zu distanzieren. Folgender „Trick“ hilft Ihnen bestimmt: wenn der Druck zu stark wird, sagen Sie sich immer: „Das bin nicht ich, das ist nur mein Zwang“.
Hilfreich ist auch die Selbstinstruktion „Es ist nur ein Gedanke. Weil ich etwas gedacht habe, will ich das noch lange nicht wirklich tun.“
Widerstehen Sie der Magie der Gedanken, die da lautet: „Was man denkt, das wird auch passieren, und dafür ist man dann auch verantwortlich.“
Bedenken Sie, dass Ihre Zwänge oft durch ein übermäßiges Verantwortungsbewusstsein geprägt sind, und lernen Sie ein gewisses Restrisiko zu ertragen.
Vergegenwärtigen Sie sich, welche Verantwortung Sie nicht einzugehen wagen, weil Sie im Falle von Fehlern unerträgliche Schuldgefühle befürchten.
Beginnen Sie Ihre Konfrontation mit einem mittelstarken Zwang
Beginnen Sie Ihr Übungsprogramm mit einem Zwang von mittelstarker Belastung (gering zwangsauslösende Situationen stellen kein Belastungstraining dar), der sich aber gegenwärtig als recht störend erweist (weil Sie dadurch etwa bei der Arbeit sehr langsam werden und viel Zeit verlieren), sodass Sie eine hohe Motivation haben, ihn zu überwinden.
Steigern Sie bei Erfolgen den Schwierigkeitsgrad Ihrer Konfrontation
Wenn Sie leichtere Zwänge überwunden haben, steigern Sie den Schwierigkeitsgrad der Konfrontationsübungen entsprechend Ihrer Liste.
Lassen Sie sich dabei durch Tagesschwankungen Ihrer Erfolge nicht entmutigen, setzen Sie einen Schritt nach dem anderen und werfen Sie bei Rückfällen – sie sind unvermeidbar – nicht sofort die Flinte ins Korn.
Lassen Sie sich täglich auf eine Konfrontation mit Ihren Zwängen ein
Bitte bleiben Sie konsequent und üben Sie täglich mindestens ein bis zwei Stunden lang, da regelmäßige Konfrontationsübungen mehr Effekt haben als nur gelegentliche.
Es besteht dann nämlich die Gefahr, dass Sie die Zwangsrituale nur punktuell durch Vermeiden verhindern – das hat aber mit einer echten Zwangsbewältigung leider nichts zu tun.
Halten Sie die Konfrontation bis zum Abklingen der Angst und Unruhe durch
Konfrontieren Sie sich mit den zwangsauslösenden Reizen und Situationen so lange, bis Angst, Unruhe oder Unbehagen um mindestens das halbe Ausmaß abnehmen.
Es ist nicht das Ziel, die Konfrontation erst dann zu beenden, wenn Sie keine negativen Gedanken und Gefühle mehr haben, sondern wenn Sie die zwangsauslösenden Reize so gut ertragen, dass Sie ohne das gewohnte Ritual auskommen.
Wenn allerdings Angst und Unbehagen angesichts eines bestimmten Reizes nicht absinken, stellen Sie sich dieser Situation einige Zeit später oder am nächsten Tag erneut bzw. verlängern Sie die Dauer der Konfrontation um eine weitere Stunde, bis Sie ein Erfolgserlebnis haben.
Geben Sie Ihr Vermeidungs- und Wiedergutmachungsverhalten auf
Stellen Sie sich allen zwangsauslösenden Reizen ohne Vermeidung und verzichten Sie auf Rituale jeglicher Art.
Halten Sie sich vor Augen: Sie müssen nichts wiedergutmachen und keinen angeblich „sauberen“ Zustand wiederherstellen, denn es ist nichts Schlimmes passiert!
Verzichten Sie auch auf magische Rituale (z.B. Zählen, bestimmte Gesten oder Sprüche), die Sie vielleicht zur Vereinfachung und Abkürzung Ihrer Wasch- und Kontrollzwänge entwickelt haben, und lernen Sie, mit einem Restrisiko besser zu leben.
Stellen Sie sich allen Situationen, die ein Zwangsritual auslösen könnten.
Vermeiden Sie keine Gelegenheit nur deshalb, weil Sie sonst stundenlang waschen, putzen oder kontrollieren müssten.
Je mehr Sie zu jeder Konfrontation bereit sind, umso schneller werden Sie Ihre Zwänge überwinden.
Zögern Sie Ihre Rituale möglichst lange hinaus
Zögern Sie Ihr Bedürfnis nach Ausführung Ihrer Rituale zeitlich möglichst lange hinaus, um mit dem Druck besser umgehen zu lernen (z.B. erst nach 30 oder 60 Minuten erneut waschen oder kontrollieren), und lenken Sie sich dabei durch eine interessante Tätigkeit ab (z.B. Einkaufen gehen, Fernsehen, ein spannendes Spiel).
Es ist schon ein großer Fortschritt, wenn Sie dem Druck der Zwänge nicht sofort nachgeben und sich auf diese Weise zeigen, dass Sie stärker sind als Ihre Zwänge.
Erlauben Sie sich nur anfangs nach kurzer Unterbrechung eine einmalige und kurze Fortsetzung Ihres Rituals
Erlauben Sie sich zu Beginn Ihres Selbsthilfeprogramms, Ihr Zwangsritual maximal einmal auszuführen, und zwar nach einer vorher festgesetzten Zeitspanne (z.B. frühestens nach einer Stunde) für einen bestimmten Zeitraum (z.B. drei Minuten waschen).
Sie sollen sich vertrauen lernen und bei einer späteren Unsicherheit diese Kontrolle wiedererinnern.
Wenn Sie Ihrer eigenen Kontrolle nicht mehr vertrauen, wird Ihr Zwangsverhalten bald extrem ausufern und Ihr Selbstvertrauen großen Schaden nehmen.
Lernen Sie, das dabei auftretende Unbehagen und Angstgefühl auszuhalten. Trotz späterer Unsicherheit verzichten Sie also bitte auf jeden weiteren Wasch- oder Kontrollzwang.
Lassen Sie auch keine andere Person eine neuerliche Reinigung oder Kontrolle vornehmen, auch wenn Ihnen dies sehr schwer fällt. Vergegenwärtigen Sie sich ganz intensiv die durchgeführten Kontrollen und deren Effizienz.
Verschieben Sie Ihr Kontrollbedürfnis vom Ort des Geschehens auf Ihre Aufzeichnungen
Zur Sicherung einer einzigen Kontrolle erstellen Sie zu Beginn Ihrer Konfrontationsübungen eine Liste der zu kontrollierenden Objekte bzw. Sachverhalte.
Bei Kontrollzwängen in der Wohnung schreiben Sie jedes zu kontrollierende Objekt auf und haken es erst dann als erledigt ab, wenn Sie dies bei voller Aufmerksamkeit unter Entspannungsbedingungen (entspannte Ausatmung) geprüft haben.
Wenn Sie später doch unsicher werden sollten, betrachten Sie den entsprechenden Vermerk auf Ihrer Liste und lernen Sie auf diese Weise, Ihrer Prüftätigkeit zu vertrauen.
Lernen Sie, im Laufe der Zeit ohne derartige Listen auszukommen, indem Sie Ihr Gedächtnis entsprechend trainieren.
Trennen Sie sich nach einer Tätigkeit konsequent vom Ort des Zwanges
Verlassen Sie nach der Konfrontation mit zwangsauslösenden Reizen die Situation für eine bis vier Stunden, um der Gefahr von (erneuten) Zwangshandlungen zu entkommen (z.B. wiederholtes Waschen oder Kontrollieren).
Durch die Ortsveränderung müssen Sie die Unsicherheit und Unkontrollierbarkeit der Situation ertragen lernen.
Es wird Ihnen wahrscheinlich sehr schwer fallen, den Ort der Kontrolle zu verlassen, um Einkaufen oder in die Arbeit zu gehen. Begrenzen Sie daher vor allem die Kontrollen vor dem Verlassen der Wohnung oder des Arbeitsplatzes (z.B. nicht länger als 15 Minuten kontrollieren).
Begrenzen Sie Ihr Zwangsritual auf eine bestimmte vorher festgelegte Zeit
Begrenzen die Zeit, die Sie für Ihre Rituale zur Verfügung haben. Dies wird dazu führen, dass Sie rascher und effizienter vorgehen.
Wenn Sie vorher keine Maximalzeit für die Ausübung Ihrer Zwänge festgelegt haben, werden Sie durch den Druck Ihrer Emotionen endlos lange waschen, reinigen oder kontrollieren.
Erstellen Sie klare Beurteilungskriterien für ein erfolgreiches Verhalten
Erstellen Sie vor der Ausführung Ihres Zwangsrituals verlässliche Kriterien, anhand derer Sie danach genau erkennen können, ob Ihr Ritual wirklich den erwünschten Effekt erbracht hat.
Legen Sie diese Kriterien also bereits vor der Kontrolle fest, um dadurch Ihr späteres Bedürfnis nach neuerlicher Kontrolle oder Reinigung zu mildern.
Sie werden feststellen: Ihr Zwangsverhalten beruht teilweise darauf, dass Sie vorher keine ausreichend klar überprüfbaren Maßstäbe entwickelt haben, die Ihnen hinterher helfen, dem Druck Ihrer Angst und Unruhe standzuhalten. Wie erkennen Sie, dass Ihre Hände nicht mehr verseucht sind?
Legen Sie vor dem Waschen fest, was Ihre Sauberkeit ausmacht! Bestimmen Sie dann die Zeit, wie lange Sie kein Zwangsritual mehr ausführen dürfen (z.B. zwei Stunden). Bestimmen Sie vor dem Kontrollieren, was „ausreichend kontrolliert“ bedeutet.
Ein Beispiel für einen Waschzwang: Ihre Hände waschen Sie frühestens nach drei Stunden maximal 3 Minuten lang ohne spätere Wiederholung. Sie können dem Druck Ihrer Gefühle nur widerstehen, wenn Sie klare Verstandes- und Verhaltenskriterien entwickelt haben.
Bauen Sie ein Alternativverhalten auf
Zwänge lassen sich umso leichter eindämmen, desto wichtiger Ihnen andere Sachen und Tätigkeiten sind. Dadurch schaffen Sie einen Gegendruck, damit Ihre Zwänge nicht so ausufern können.
Die Beschäftigung mit anderen Themen lenkt Sie erfolgreich von Ihren Zwängen ab.
Erstellen Sie einen Tagesplan mit Fixpunkten, die Sie auf jeden Fall erledigen wollen, z.B. ein Hobby ausüben, eine halbe Stunde Sport oder in Ruhe Zeitung lesen, Treffen mit Bekannten, Besuch eines Kinos oder eines Hallenbades, abends fortgehen.
Rechnen Sie damit, dass Sie in Leerlaufphasen Zwänge als „Beschäftigungstherapie“ einsetzen könnten.
Treffen Sie Vorsorge für ein erfülltes Leben, wo Zwänge immer weniger Platz haben, weil diese Sie daran hindern, das zu tun, was Sie eigentlich tun möchten.
Provozieren Sie Ihre Zwänge, um diese dadurch überwinden zu lernen
Bei einem Wasch- und Reinigungszwang ist das folgende Vorgehen zwar sehr belastend, aber äußerst effektiv.
Berühren Sie mit Ihren Händen intensiv einen „verschmutzten“ Gegenstand (Türgriff mit den „Bazillen“ anderer Menschen, Fleischmesser mit Blut, Schuhsohle mit Straßenschmutz, Verpackungsmaterial für chemische Produkte usw.), eine „verseuchte“ Oberfläche (Abfallkübel, Mülltonne, Klobrille, Boden usw.) oder mit Ihren Fingern eine Körperausscheidung (Schweiß, Urin, Vaginalsekret, Menstruationsblut).
Halten Sie die Berührung so lange durch, bis Angst, Unruhe und Unbehagen deutlich abnehmen und erträglich erscheinen.
„Verseuchen“ Sie mit Ihren „verschmutzten“ Händen ganz bewusst Ihren ganzen Körper (Gesicht, Haar, Arme, Beine, Kleidung), alle Wohnräume und Gegenstände (Türgriffe, Polstermöbel, Sessel, Schreibtisch, Esstisch, Essbesteck, Lichtschalter, Elektrogeräte, Bettzeug, Handtücher, saubere Kleidung im Schrank, Arbeitsplatte in der Küche usw.).
Mit einem Tuch können Sie auch gefürchteten Schmutz von außerhalb Ihrer Wohnung mit nach Hause nehmen, Ihre Angehörigen damit „anstecken“ und durch Wischen überall verteilen.
Verzichten Sie hinterher auf Reinigungsrituale (Waschen, Putzen, Desinfizieren) und kognitive Rituale (Stoßgebete, magisches Zählen usw.).
Konfrontieren Sie sich auf diese Weise im Laufe der Zeit (am besten durch ein zwei- bis vierwöchiges Intensivprogramm) mit allen Reizen, die Ihre Wasch- und Reinigungszwänge auslösen.
Reinigen Sie bei einem Waschzwang versuchsweise die Hände den ganzen Tag nicht, ertragen Sie die Verschmutzung und provozieren Sie dadurch bewusst ein mögliches Unglück („Wer wird wohl schwer krank werden oder gar sterben müssen?“).
Die Wohnung reinigen Sie frühestens nach 3 Tagen, das „verschmutzte“ Bettzeug wechseln Sie erst nach einer Woche.
Vielleicht kann ein anderes Familienmitglied den nächsten Wohnungsputz übernehmen, damit nicht alles so ordentlich gereinigt ist, wie Sie dies wahrscheinlich tun würden.
Unterstützen Sie Ihre Konfrontationstherapie durch mentale Übungen
Wenn Sie verständliche Schwierigkeiten haben, derartige Übungen sofort in der Realität auszuführen, üben Sie die Konfrontation mehrfach in der Vorstellung, beschreiben Sie mit geschlossenen Augen den ganzen Vorgang in der Ich-Form und in der Gegenwart (z.B. „Ich berühre jetzt mit der Hand einen ‘verschmutzten’ Gegenstand und anschließend den Fußboden und die Wohnungstür“), diktieren Sie den Ablauf auf Tonband (ohne neutralisierende kognitive Rituale) und hören Sie den Text mehrfach täglich an, bis Sie eine Konfrontation in der Realität wagen.
Durchdenken Sie die unangenehmen Szenen möglichst bildhaft bis zum Ende durch, lassen Sie einen inneren Film ablaufen mit der größtmöglichen Katastrophe, bewerten Sie anschließend die Wahrscheinlichkeit eines derartigen Endes und wägen Sie ab, ob Sie angesichts des möglichen Gewinns (mehr Lebensqualität und innere Freiheit) nicht doch dieses Risiko eigenverantwortlich (ohne Absicherung bei anderen) eingehen könnten.
Lassen Sie bei der Konfrontation alle Gedanken und Gefühle zu
Konzentrieren Sie sich bewusst auf Ihre momentanen Gedanken und Gefühle, indem Sie diese während der Konfrontation in Worte fassen und vielleicht sogar laut aussprechen.
Machen Sie die Erfahrung, dass Sie die aufkommenden Gefühle ertragen können.
Bei Schwierigkeiten, mit den Übungen anzufangen oder durchzuhalten, denken Sie daran, dass Sie wahrscheinlich öfter mehr ein Gefühl von Ekel als von Angst und Unbehagen haben werden (z.B. im Kontakt mit den eigenen Körperausscheidungen).
Ekel führt oft zu Übelkeitsgefühlen. Das ist ganz normal. Sie müssen Ekelgefühle nicht überwinden, sondern nur besser aushalten lernen.
Lassen Sie bei jeder Übung alle Gefühle und Gedanken zu, auch die unangenehmsten.
Auf diese Weise können Sie erkennen, welche Gefühle Sie innerlich wirklich haben, z.B. Ärger, Wut, Traurigkeit, Ekel.
Je mehr Sie Ihre Gefühle und Gedanken unterdrücken, desto häufiger und bedrängender werden diese auftreten.
Durch den großen Druck Ihrer Angst- und Unruhegefühle ist es anfangs ganz normal, dass belastende körperliche Symptome auftreten werden.
Geben Sie deswegen Ihren Zwängen nicht nach, sondern lernen Sie, diese Anspannung besser zu ertragen.
Reden Sie innerlich mit sich und unterstützen Sie dadurch Ihr Verhalten
Sagen Sie sich innerlich vor, was Sie bei der Konfrontation fürchten und stehen Sie dazu, etwa „Ich habe jetzt Angst, dass ich mich verschmutze. Wenn ich mich dann nicht gleich wasche, habe ich die Befürchtung, meine Tochter anzustecken, sodass sie krank wird oder gar stirbt, weil sie noch so klein ist“; „Wenn ich nicht alle Elektrogeräte kontrolliere, fürchte ich, dass eines davon die ganze Wohnung in Brand setzen könnte“.
Vergegenwärtigen Sie sich, was Ihnen mehr Sicherheit geben kann („Vor einer Stunde war ich unsicher, ob der Ofen, Wasserhahn, Lichtschalter usw. abgedreht ist. Ich habe daher genau kontrolliert und kann meiner Kontrolle vertrauen“; „Ich habe meine Hände vor 10 Minuten gründlich mit Seife gewaschen. Es reicht jetzt, sonst werden meine Hände durch das ständige Waschen noch ganz trocken, spröde und aufgeraut und machen mich erst recht anfällig für Infektionen“).
Verwenden Sie hilfreiche Selbstinstruktionen („Das ist ekelig, aber nicht gefährlich“; „Es muss mir nicht gutgehen, ich muss es nur aushalten“; „Das ist jetzt ordentlich genug, es muss nicht perfekt sein, denn es wird deswegen nichts Gefährliches passieren“).
Verlassen Sie sich auf Ihren Verstand und nicht auf Ihre Gefühle
Wenn Sie unter Zwängen leiden, wissen Sie vom Verstand her, dass Ihre Zwänge unsinnig sind, vom Gefühl her können Sie dennoch nicht danach handeln.
Akzeptieren Sie, dass Sie mit diesem Selbsthilfeprogramm vorerst nur Ihr Verhalten besser in den Griff bekommen können.
Ihre Gedanken, Gefühle und Impulse werden anfangs noch gleich belastend und unkontrollierbar erscheinen.
Das Gefühl, dass Ihre Hände noch immer schmutzig sind, dass Sie noch immer nicht alles ordentlich genug erledigt haben oder dass irgendetwas passieren könnte, wird nach wie vor vorhanden sein.
Dies wird sich erst später ändern. Neues Verhalten schafft mit der Zeit neues Denken und Fühlen.
Erhöhen Sie Aufmerksamkeit und Gedächtnis für möglichst effizientes Verhalten
Treffen Sie Vorkehrungen dafür, dass Sie die jeweilige Tätigkeit mit maximaler Aufmerksamkeit erledigen.
Wenn Sie sich während der Kontrollen recht bildhaft vorstellen, was passieren kann, falls Sie nicht ausreichend kontrollieren, verringern Sie durch die dabei auftretenden Angstzustände Ihre Aufmerksamkeit für die jeweilige Handlung.
Das ist dann wiederum ein Grund dafür, dass Sie bald den Zwang zu einer neuerlichen Kontrolle verspüren werden.
Eine teuflische Spirale! Viele Zwangspatienten haben das Gefühl, während der Kontrollen nicht ganz da zu sein, alles verschwommen zu sehen und den eigenen Augen nicht trauen zu können.
Später misstrauen die Betroffenen auch ihrem Gedächtnis, sodass sie bei einer neuerlichen Kontrolle alles besser machen wollen.
Bedenken Sie: wenn Sie einmal Ihrer Kontrolle nicht mehr vertrauen, dann bauen Sie mit jeder weiteren Kontrolle Ihr Selbstvertrauen nicht auf, sondern ab.
Erzählen Sie sich in einem inneren Monolog, was Sie gerade tun, um auf diese Weise Ihre Aufmerksamkeit zu binden. Bleiben Sie ganz im Hier-und-Jetzt.
Prägen Sie sich den jeweiligen Kontrollvorgang ganz fest ein, u.a. auch bei geschlossenen Augen. Atmen Sie während des Kontrollierens von jedem Ofen- oder Lichtschalter, jedem Fenstergriff usw. entspannt aus, schließen Sie anschließend die Augen und stellen Sie sich vor, wie Sie die jeweilige Aufgabe richtig erledigt haben.
Gehen Sie erst dann zur Kontrolle des nächsten Objekts bzw. weiteren Sachverhalts über, wenn Sie sich die zuletzt vorgenommene Kontrolle bildlich vergegenwärtigen können.
Treffen Sie also bei allen Handlungszwängen, vor allem bei Kontrollzwängen, Vorkehrungen dafür, dass Sie sich richtig erinnern können, was Sie getan bzw. wie genau Sie kontrolliert haben.
Zur besseren Nutzung der motorischen Informationen aus dem Handlungsvollzug sollten Sie die jeweiligen Kontrollen auch mit geschlossenen Augen durchführen, um auf Weise die motorischen Vollzüge besser in Ihrem Gedächtnis zu speichern und später abrufen zu können.
Benutzen Sie andere Menschen nur zur Ermutigung und nicht zur Absicherung
Sie kennen das wahrscheinlich aus eigener Erfahrung: Sie „müssen“ oft selbst nach stundenlanger Ausübung Ihres Rituals andere fragen, ob jetzt endlich alles passt und keine Gefahr mehr droht.
Damit sollte nun Schluss sein: vermeiden Sie es ab sofort, Ihre Angehörigen in Ihre Zwänge einzubeziehen! Fragen um Bestätigung, dass Sie sauber sind und Unterstützung durch andere bei Ihren Kontrollritualen, „damit alles schneller erledigt ist“, sollten der Vergangenheit angehören.
Dies kann Ihnen zwar kurzfristig Erleichterung bringen, untergräbt jedoch langfristig Ihr Selbstvertrauen völlig.
Fragen Sie niemand, ob Sie ausreichend kontrolliert, gewaschen oder gereinigt haben! Lernen Sie, selbst die Verantwortung für Ihr Verhalten zu übernehmen. Sie werden sonst völlig von Ihrer Umwelt abhängig.
Nehmen Sie bei Bedarf die Hilfe von Personen Ihres Vertrauens in Anspruch, um die Konfrontation zu erleichtern, den Verzicht auf Zwangsrituale durchzuhalten und Ermutigung und Unterstützung zu erhalten, verwenden Sie diese Hilfspersonen jedoch nicht zu Ihrer Absicherung.
Entwickeln Sie Kriterien für das, was normal ist
Zwangskranke mit langer Erkrankungsdauer haben im Laufe der Zeit das Gefühl für das verloren, was normal ist.
Orientieren Sie sich an Personen Ihres Vertrauens, beobachten Sie, was „Usus“ ist und definieren Sie darauf basierend Ihre neuen Maßstäbe.
Beispielsweise eine Orientierung bei Waschzwängen: waschen Sie sich die Hände nicht öfter als fünfmal am Tag, jedes Mal höchstens zwei Minuten lang und baden bzw. duschen Sie täglich nur einmal für höchstens zehn Minuten.
Waschen Sie Ihre Hände nur nach dem Benutzen der Toilette, vor dem Essen, vor dem Umgang mit Lebensmitteln oder wenn Ihre Hände sichtbar schmutzig sind. Verwenden Sie Seife nur bei sichtbarem Schmutz.
Machen Sie Entspannungsübungen zur Druckentlastung
Bei großem Unbehagen können Ihnen entspannende Atemübungen mit Betonung der verlängerten Ausatmung helfen, den Druck besser auszuhalten. Später verzichten Sie auf derartige Hilfen.
Nehmen Sie vor allem bei Zwangsgedanken auch bestimmte zwangslösende Antidepressiva
Studien haben gezeigt, dass insbesondere bei schweren Zwangsgedanken bestimmte zwangslösende Antidepressiva (in höherer Dosierung als bei Depressiven) rascher helfen als eine Verhaltenstherapie allein. Wenden Sie sich diesbezüglich an einen guten Psychiater.
Mentales Training bei Zwangsstörungen
Wenn Sie unter Zwängen leiden sollten, haben Sie wahrscheinlich folgendes Problem: Sie glauben, dass das, was Sie denken und sich ausmalen, tatsächlich so eintreffen wird, und Sie wären dann dafür verantwortlich.
Eine schlechte Lösung wäre: nichts Negatives vorstellen, sonst passiert es tatsächlich und Sie wären schuld daran.
In der Folge müssen Sie etwa die Vorstellung, die kranke Großmutter könnte sterben, oder ein Autofahrer könnte auf der überfüllten Schnellstraße zu Urlaubsbeginn tödlich verunglücken, möglichst perfekt unterdrücken.
Mein Vorschlag dagegen lautet: Stellen Sie sich mögliche Gefahren und Gefährdungen bestimmter Personen anstatt sie zu vermeiden ganz konkret vor, aber verzichten Sie unbedingt auf verhaltensbezogene oder gedankliche Rituale, um das vermeintlich erhöhte Risiko zu reduzieren.
Die Macht Ihrer Gedanken reicht nicht so weit, dass das befürchtete Unglück tatsächlich eintritt, und wenn doch etwas passiert, haben Sie es möglicherweise – genauso wie vielleicht auch andere Menschen – vorausgeahnt und sind daran nicht persönlich schuldig geworden.
Wenn Sie zwangsauslösende Situationen noch nicht in dieser Art und Weise anzugehen wagen, können Sie diesen wenigstens mental begegnen, jedoch ebenfalls ohne Rituale.
Eine mentale Konfrontationstherapie stellt in diesem Sinn eine gute Vorbereitung auf die reale Begegnung mit den entsprechenden Situationen dar.
Ich gebe Ihnen dazu einige Anregungen:
- Berühren Sie in Ihrer Vorstellung vermeintlich verseuchte Dinge oder Menschen ohne anschließendes Waschen und verbreiten Sie diesen „Schmutz“ in der ganzen Wohnung.
- Schalten Sie mental alle elektrischen Küchengeräte ab und verlassen Sie dann ohne neuerliche Kontrolle Ihre Wohnung. Denken Sie daran, dass immer etwas passieren kann, Sie jedoch deswegen nicht mehr zurückkehren und den ganzen Tag außerhalb der Wohnung verbringen werden. Lernen Sie, alle dabei aufkommenden Gedanken und Gefühle wahrzunehmen und auszuhalten.
- Stellen Sie sich vor, jemand aus Ihrer Verwandtschaft oder Bekanntschaft könnte erkranken oder sterben. Gestehen Sie sich Ihre Gefühle der ängstlichen Besorgtheit bzw. der Traurigkeit ein, tun Sie aber nichts, um diese Gefahren durch Rituale zu bannen. Sie sind durch Ihre Gedanken nicht schuld daran, wenn tatsächlich etwas passieren sollte.
- Lassen Sie Ihre Gefühle des Ärgers über eine bestimmte Person zu, ohne dass Sie aus Schuldgefühlen gleich ein Ritual zur Wiedergutmachung einsetzen müssen.
- Wenn Sie Probleme im Umgang mit Messern haben, weil Sie dadurch sich oder jemand anderen verletzen könnten, stellen Sie sich vor, wie Sie mit einem scharfen Messer in der Küche arbeiten und dabei Ihre „gefährlichen“ Gedanken denken, ohne dass Sie deswegen gleich unnötige Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.
Denkmuster ändern bei Zwangsstörungen
Wenn Sie unter einer Zwangsstörung leiden, sind Sie zumindest in bestimmten Bereichen ein sehr unsicherer Mensch und möchten über die Zwänge mehr Sicherheit erreichen.
Sie sind stets vom Bemühen getragen, auf keinen Fall einen Fehler zu begehen, weil Sie wissen, dass Sie dies depressiv, das heißt schuldhaft, verarbeiten würden.
Ihre Zwänge beruhen auf zwei zentralen Denkfehlern, die zusammen die ganze Dynamik Ihrer Zwangsstörung ausmachen:
1. Sie überschätzen in erheblicher Weise die Wahrscheinlichkeit einer Bedrohung, vor allem jedoch können Sie ein gewisses Restrisiko nicht tolerieren. Diese Sichtweise teilen Zwangskranke mit Angstpatienten.
2. Sie überschätzen das Ausmaß Ihrer persönlichen Verantwortung für ein bestimmtes Geschehen. Diese Auffassung teilen Zwangskranke mit depressiven Patienten.
Analysieren und verändern Sie vor allem fünf typische Denkmuster, wenn Sie unter Zwängen leiden sollten:
Überschätzung der Bedeutung der Zwangsgedanken
- Wenn ich negative Gedanken habe, bin ich ein schlechter Mensch.
- Wenn ich verwerfliche Gedanken habe, bin ich dafür genauso verantwortlich und schuldig, wie wenn ich entsprechende Taten gesetzt hätte (z.B. Fremdgehen).
- Wenn ich meine Gedanken nicht kontrollieren kann, kann ich auch mein Verhalten nicht kontrollieren.
Überschätzung der Wahrscheinlichkeit von schweren Folgen eines Ereignisses
- Wenn ich die Kaffeemaschine nicht abschalte, wird die Wohnung abbrennen.
- Wenn ich die Tür nicht abschließe, wird ein Einbrecher kommen.
- Wenn ich mich nicht ordentlich wasche, werde ich beim nächsten Händedruck jemand gesundheitlich gefährden.
Überschätzung der eigenen Verantwortung für ein Ereignis
- Wenn sich in meinem Haus jemand verletzt, bin ich dafür verantwortlich.
- Wenn jemand krank wird, ist das meine Schuld.
- Wenn ich meinen Zählzwang nicht ausführe, wird meine Mutter sterben.
Bedürfnis nach Perfektion
- Wenn ich etwas nicht perfekt kann, tue ich lieber überhaupt nichts, dann habe ich wenigstens nichts falsch gemacht.
- Wenn ich einen Fehler mache, zeigt dies meine Unfähigkeit und Unvollkommenheit.
- Ich könnte nicht damit leben, wenn ich einen Fehler begehen würde.
Falsches Einschätzen der Konsequenzen der Angst
- Wenn ich denke, dass etwas Schlimmes passiert, wird dies auch geschehen.
- Wenn ich meine Aggressionsimpulse nicht unterdrücken kann, ist jemand durch mich gefährdet.
- Wenn ich meine Zwänge nicht ausführe und dementsprechend unruhig bin, werde ich in der Arbeit viele schwere Fehler machen.
Sie wissen nun, wo Sie ansetzen müssen, wenn Sie unter Zwängen leiden:
- Verändern Sie Ihre Sichtweisen hinsichtlich der erwarteten Bedrohung! Schätzen Sie das Eintreffen bestimmter Ereignisse realistischer ein. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit wirklich, dass Sie etwa durch einen Händedruck AIDS oder eine andere schwere Krankheit bekommen könnten? Sie kennen doch den Spruch von Erich Kästner: „Das Leben ist immer lebensgefährlich“.
- Reduzieren Sie Ihr Bedürfnis nach 100 Prozent Sicherheit! Warum ist es für Sie so wichtig, alles perfekt machen zu müssen? Was wäre, wenn Sie einmal einen Fehler machen, der auch anderen passieren könnte? Ist Ihnen Ihr Perfektionsstreben wirklich so viel Wert, dass Sie dabei in vielen Bereichen am Leben vorbeigehen und nichts mehr genießen können, weil Ihr Leben ständig bedroht ist?
- Reduzieren Sie das Ausmaß Ihrer persönlichen Verantwortung! Was genau können Sie wirklich sinnvoll tun, um verantwortlich zu handeln und wo überschätzen Sie Ihre Möglichkeiten, auch wenn Sie noch so große Schuldgefühle haben, dass z.B. wegen Ihrer Gedanken Ihre Großmutter im kommenden Jahr sterben könnte? Haben Sie auch schon überlegt, welche Verantwortung und Schuld andere Menschen haben, dass bestimmte Befürchtungen nicht eintreten? Sie messen mit zweierlei Maß! Sie geben sich die gesamte Schuld an allem, während Sie die Verantwortung der anderen unterschätzen.
Ich verstehe, dass diese kurz und bündig formulierten Anregungen für Sie nicht so leicht umsetzbar sind, sonst hätten Sie Ihre Zwänge schon längst aufgegeben.
Und schließlich haben diese ja auch einen Sinn: Zwänge stellen den Versuch dar, mehr Selbstsicherheit zu gewinnen.
Dahinter steckt meist eine längere Vorgeschichte mit großen Unsicherheiten und Unberechenbarkeiten in der Familie, in Partnerschaft oder im Beruf, wo es Ihnen nicht gelungen ist, eine angemessene Selbständigkeit und Autonomie zu entwickeln.
Zwänge machen das scheinbar wett und geben durch ihre rigide Struktur einigermaßen Sicherheit bei sozialen Defiziten und mangelnder sozialer Kompetenz – und sie ermöglichen auch eine Manipulation anderer Menschen.
Häufig stellen Zwänge auch ein Ventil für unterdrückte Aggressionen dar. Sie sollten daher nicht nur gegen Ihre Zwänge kämpfen, sondern vor allem auch an einer besseren sozialen Kompetenz arbeiten.